Johannes Heymann-Mathwich

 
„Als ich noch als Soldat im Bunker der Gefangenschaft saß, erlebte ich in tiefer Dankbarkeit den Augenblick, da ich feststellen durfte: Du gehörst zu den Überlebenden in diesem apokalyptischen Zeitgeschehen. Aus dieser Gnade erwuchs die Freude: Du darfst nun wieder dein Unternehmen, die Heymann - Mathwich - Bühne, aufbauen, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, eine christliche Dramatik den Zeitgenossen ins Bewusstsein zu rufen. Mit dem 28. März 1933, der letzten Auffüh
rung des Stückes Die Auferweckung des Lazarus in der Ev. Pauluskirche zu Berlin-Lichterfelde, hatte ich meine Zielsetzungen für viele Jahre zurückstellen müssen.

Diese Zielsetzung geht aus von einer Betrachtung Gotthold Ephraim Lessings in der Hamburgischen Dramaturgie. In genialer Erkenntnis einer zukünftigen Entwicklung verkündet er: „ . . . so dürfte die erste Tragödie, die den Namen einer christlichen verdient, ohne Zweifel noch zu erwarten sein. Ich meine ein Stück, in welchem einzig der Christ als Christ uns interessiere’.“

Mit diesen Worten beginnt eine Broschüre mit dem Titel Warum eine christliche Dramatik, die der Dramatiker und Schauspieler Johannes Heymann- Mathwich nach dem Zweiten Weltkrieg verfasste.

Damals begann er, kaum aus der Kriegsgefangenschaft
entlassen, mit seiner jungen Frau, die früher als Schauspielerin und Sängerin in Berlin tätig gewesen war, und einem weiteren Schauspieler, in Norddeutschland von Kirche zur Kirche zu reisen und seine eigenen Stücke aufzuführen: das in der Gefangenschaft entstandene Drama Die Frage des Pilatus, Der Verrat des Judas und Die Erlösung des Hiob. Er spielte in größten Kirchen und Sälen mit bis zu 1200 Zuschauer, aber auch in der kleinsten Dorfkirche. Am liebsten hätte er zwar auf offenem Markte gespielt, „um für solche Menschen da zu sein, deren Herz und Vernunft bedrängt sind von der Hamlet- Problematik.“


Aufgeschlossen und geisthungrig, wie die Seelen in den Nachkriegsjahren waren, erzielte er eine starke Wirkung, besonders auch auf junge Menschen. In den vier Jahren dieser Tätigkeit erreichten Pilatus und Judas je circa 150 Aufführungen. Wer irgendein gut gemeintes Laienspiel erwartet hatte, fand sich gründlich getäuscht. Man sah, dass hier ein Mensch am Werke gewesen war, dem die Dramatik sozusagen in Fleisch und Blut lag, der insbesondere den Aufbau eines Dramas vollkommen beherrschte und dazu auch als Schauspieler von größter Ausdruckskraft war.

Die aufgeführten Dramen, die alle nur zwei bis drei Darsteller benötigen, zeigen in der äußeren Form die klassische Einheit von Zeit, Ort und Handlung. Irgendein Bühnenaufwand war weder möglich noch ist er erforderlich. Diese Stilelemente erzeugen eine gewisse Strenge und Einfachheit, vor allem aber eine außerordentliche Konzentration. Es handelt sich immer um Seelendramatik, wobei das Seelenleben der auftretenden Personen einerseits von packender Menschlichkeit ist und andererseits wie transparent, durchleuchtend wird für eine Handlung auf einer höheren Ebene (z. B. im Pilatus-Drama, Prozess, Kreuzigung und Auferstehung Christi). So fühlt sich der Zuschauer aktiviert zu einem seelischen Nachschaffen der Urbilder, die der Bühnenbildhaftigkeit entzogen sind und auf diese Art ihre geistige Lebendigkeit behalten.

-Johannes Heymann war eine Persönlichkeit, die schon in der Kindheit sehr ausgeprägte Neigungen und Begabungen zeigte. Aus einfachen Verhältnissen stammend, begann er früh zu dichten und verwirklichte den Wunsch, Schauspieler zu werden, nur nach Überwindung großer Schwierigkeiten gegen den Willen seines Vaters. Die Thematik seiner Dichtungen stammte von Jugend auf meist aus der jüdisch-christlichen Welt, die in ihm lebendig war wie die gegenwärtige. Die tiefchristliche Seelensubstanz in ihm tastete sich über das Judentum an ein Verständnis des Mysteriums von Golgatha heran, das ihm der Quellepunkt aller wahren Dramatik war. Er empfand stark, wie der Bildekräfteleib im Erleben des Dramas seine Reinigung, Katharsis, erfährt und sich damit zur Aufnahme des Christus- Geheimnisses bereitet.

Doch dieses Ziel, unbewusst von Jugend an angestrebt, konnte der Dichter erst durch schwere äußere Schicksale und innere Krisen zur Klarheit bringen. Dazu gehörten mehrfache Todeserlebnisse des jungen Menschen. 1916 entkam der Zwanzigjährige als einziger Überlebender seiner Kompanie einem Gefecht vor Verdun, mit einer schweren Verwundung. Ein Jahr später, bei einer Grippe- Epidemie, bei der die Toten auf Möbelwagen aus der Stadt Breslau geschafft wurden, war er bereits vom Arzt aufgegeben und erholte sich dennoch wieder. Bald danach erlebte er einen eingreifenden körperlichen und seelischen Zusammenbruch.

Doch beruflich brachten diese Jahre einen Erfolg nach dem anderen. Sein erstes Engagement als Schauspieler führte ihn 1917 nach Stralsund. Es folgten Breslau, Bad Homburg vor der Höhe, Frankfurt am Main, dann das Deutsche Theater und das Große Schauspielhaus in seiner Heimatstadt Berlin. In dieser Zeit war er nacheinander Spielleiter und Regisseur. In Eisenach und Stralsund war er sodann als Oberregisseur tätig und hatte einen Intendantenposten in Aussicht, als der Einschlag kam, der seinem ganzen Leben eine andere Richtung gab.

Trotz der Eindeutigkeit seiner Begabung war er ein schwer um seinen Beruf oder besser gesagt um seine Berufung Ringender. Er hatte, als Protestant erzogen, sich immer mit dem Christentum auseinander gesetzt. Er hatte mit Feuereifer Philosophie studiert. Er nahm, wie es seiner lebhaften Natur entsprach, aktiven Anteil an allen Zeitereignissen, besonders den kulturellen. Doch mit 28 Jahren kam er an den Punkt, wo er sich „am Ende seines bisherigen Denkvermögens fühlte“, wie er es selbst ausdrückte. Das Theater in seiner bestehenden Form konnte ihm nichts mehr bedeuten.


In diesem kritischen Zeitpunkt fand er Zugang zu dem neuen Kultus der Christengemeinschaft, und seine brennenden Erkenntnisfragen lösten sich mit Hilfe der Anthroposophie, die ihm neue Richtlinien für seine Lebensziele gab.                                                      

                                                                                                                 Foto: Astrid Oelssner Haueisen

Im Alter von 33 Jahren fasste Johannes Heymann Mathwich den Entschluss, die so erfolgreich begonnene Bühnenlaufbahn zu verlassen und den Versuch zu machen, sein Lebenswerk im Rahmen der Anthroposophie zu verwirklichen. Seither war sein Leben ein Ringen darum, eine äußere Form für diese Verwirklichung zu finden. Dabei stand ihm in aufopfernder Weise seine spätere Frau Ilse Heymann-Barth zur Seite die Einsamkeit mildernd, in die ihn das Unkonventionelle und Kompromisslose seines Weges trotz aller Anerkennung führte.                                                                                             

1929 – 1935 war ihm eine freie Wirksamkeit als Leiter des Spielerkreises der Christengemein- schaft in Berlin möglich. Diese Arbeit fand ihren Höhepunkt durch eine ungekürzte Aufführung von Goethes Faust I mit Studenten, am 26.März.1932, in der großen Aula des Friedrich Wilhelm Gymnasiums in der Kochstraße in Berlin.

Die Notwendigkeit des Erwerbs ließ ihn die Aufgabe übernehmen, große Freilichtaufführungen mit hunderten Mitwirkenden auf den Domstufen in Erfurt und zweitausend Mitwirkenden in der Jahrhunderthalle in Breslau zu inszenieren. Von 1939 an zwangen zeitbedingte weltanschauliche Schwierigkeiten ihn dazu, in einer Tabakpreis-Errechnungstelle und später in einem Presspan-Export- Kontor zu arbeiten. Nebenher aber führte er mit Blinden Teile aus Goethes Faust auf und mit Gehörlosen mimische Märchen und Tanzspiele. Es folgten zwei Jahre Soldatenzeit, Gefangenschaft und dann ein neuer Aufschwung durch die eingangs erwähnte Reisetätigkeit mit der eigenen Bühne, die 1949 durch die Folgen der Währungsreform wieder unmöglich wurde. Von nun an arbeitete Johannes Heymann auf dem Postamt, durch viele Jahre hindurch bis zu seiner Pensionierung, und widmete sich nebenher seinem dichterischen Werk..

In diesen ruhigeren Altersjahren entstandenen außer der Trilogie Sie erlebten Paulus, deren zweiter Teil 1962 in Dornach am Goetheanum uraufgeführt wurde, die Dialoge über die Mütter Gottes. Gemeint sind zunächst die alttestamentlichen Frauengestalten Thamar, Rahab, Ruth, Bathseba,
die im Geschlechterregister des Matthäus erwähnt werden, und sodann die zwei Marien, die Mütter des salomonischen und des nathanischen Jesusknaben, so wie die Mater dolorosa, die umhüllt ist von der jugendlich verstorbenen Maria-Sophia. Diese Szenen in ihrer Altersreife kann man mit Recht als

„Santa Conversazione“ bezeichnen, wie Heymann es gerne tat.

Es ist hier unmöglich, auf alle Werke Heymann-Mathwichs einzugehen, ja sogar sie aufzuzählen. Es sind über 30 Titel, abgesehen von den Aufsätzen und Gedichten. Etliche Manuskripte sind auch durch die Flucht der Familie verloren gegangen.

In der Thematik verband ihn vieles mit Lic. Emil Bock, auf dessen Veranlassung er auch 1953 nach Stuttgart übersiedelte und dem die Hilfe des erfahrenen Anthroposophen mit seinen profunden historischen Kenntnissen bei seinen Arbeiten sehr zustatten kam. –

In seinen letzten neun Lebensjahren war er Zweigleiter in Kornwestheim. Die Johannes Heymann kannten, werden ihn als Menschen vermissen, den sie liebten wegen seiner Lebendigkeit, seiner Herzensgüte und seines Humors, der ihn selbst in den qualvollen Tagen vor seinem Tode nicht verließ.

Mögen seine Werke weiterwirken und damit ein Beitrag sein zu einer Kultur-Erneuerung, wie er es sich gewünscht hat.



Johannes Heymann Mathwich   

    Forschungsstelle Kulturimpuls - Biografische Dokumentation -

 

Johannes Heymann - Mathwich

*6. September 1896 in Berlin
+ 25. April 1969 in Ludwigsburg
Almut Bockemühl